Medusa, das Symbol der weiblichen Wut

Triggerwarnung: Der Beitrag enthält Themen der sexualisierten Gewalt, Vergewaltigung

 Es gab einmal vor langer Zeit ein schönes Mädchen. Ihr Name war Medusa. Sie war Priesterin der Athene/Minerva und war überall berühmt für ihr üppiges Haar. Sie wusste von ihrer Schönheit und war deshalb auch nicht bescheiden, denn dies zog die Blicke auf sie. Auch die des Gottes Poseidon. Eines Tages betete Medusa in Athenas Tempel, ganz allein, bis Poseidon den Tempel betrat. Der Herr des Meeres schändete den Schrein und vergewaltigte Medusa. Pallas Athena, die jungfräuliche Göttin, wollte Poseidon in ihrem Tempel überraschen und erfuhr von Ovid, dass dieser dort Medusa vergewaltigt. Sie tobte vor Wut, dass dies in einem ihrer Tempel geschehen ist. Poseidon war ein mächtiger Gott, also konnte Athena ihn nicht bestraffen. Aber in einem Anfall vor eifersüchtiger Wut, verfluchte sie Medusa. Medusas ganzer Stolz, ihre Haare, wurden schreckliche Schlangen verwandelt. Damit auch kein Mann jemals in die Versuchung kommt ihr nachzuschauen, verdammte Athena sie dazu, dass ihr Blick jeden zu Stein verwandelt, der ihr in die Augen blickt. Als ob die Strafe nicht genug gewesen wäre, schickte man später Perseus los, der die Aufgabe bekam, Medusa zu töten, ihr den Kopf abzuschlagen und diesen gegen andere Feinde anzuwenden. Was sagt uns diese Geschichte?

Medusa steht für eine Frau, die für das Fehlverhalten eines anderen (Poseidon, der Vergewaltiger) bestraft wird und für ihre Methoden, sich ihre Macht zurückzuholen (Die Täter in Stein zu verwandeln) angeprangert wird. Somit verkörpert Medusa die Kämpfe, mit denen viele moderne Frauen heute konfrontiert sind: Die Opfer solcher Taten sind verdammt, wenn sie etwas tun, und verdammt, wenn sie nichts tun!

Blicken wir heute gemeinsam auf einer der wichtigsten Figuren des Feminismus. Medusa, das Symbol der weiblichen Wut.

Im Laufe der Zeit wurde der Mythos der Medusa durch zwei verschiedene Blickwinkel gezeigt. Zum einen haben wir den männlichen Blick und zum anderen den des frühen Feminismus. Dadurch, dass die Jungfrau Athene die vergewaltigte Medusa in eine Gorgone verwandelt, wird die weibliche Sexualität im antiken Griechenland reguliert. Was den Mythos heute noch so wichtigmacht, sind die Fragestellungen zu sexuellen Übergriffen, der Behandlung von Frauen und der Unterdrückung der weiblichen Sexualität, welche im Vergleich zur männlichen Sexualität im Laufer der Zeit aufgeworfen werden. Diese Folklore steht also für die Bedeutung der Aufrechterhaltung der männlichen Dominanz in der antiken griechischen Kultur bei gleichzeitiger Anerkennung der weiblichen Selbstbestimmung.

Allerdings hat die Geschichte der Medusa eine fragwürdige Moral. Sie diente der Gesellschaft und ganz besonders den Gelehrten dazu, den Frauen die Schuld zu geben und die weibliche Sexualität zu dämonisieren. Medusa stellte eine Bedrohung für die patriarchalische Gesellschaft dar. Das Opfer sexueller Übergriffe wird zum Schlangenmonster. Dennoch schien Medusa trotzdem verführerisch zu sein und steht, trotz ihrer Verwandlung, für die „Gefahren“ der weiblichen Anziehungskraft. Sie konnte als Frau die Männer in den Tod locken, wenn diese es wagten sie anzuschauen. An diesem Beispiel sieht man, dass der Status als Opfer sexueller Übergriffe von ihrer Kraft, Männer in Stein zu verwandeln, in den Schatten gestellt wurde. Die griechische Mythologie feiert es sogar, wenn sie durch Perseus endgültig als Schurke getötet wird. Somit zeigt sich, dass viele männliche Gelehrte, den Medusa-Komplex nutzten, um weibliche Macht und Autorität zu dämonisieren. Mächtige Frauen, werden mit dem Bild der monströsen Frau herabgesetzt, entmutigt, beschämt und ihres Platzes verwiesen.

Wie war der männliche Umgang mit dieser Geschichte. Nun, dies ist historisch sogar festgehalten. Schauen wir uns mal die Sichtweise von Sigmund Freud an. In seinem Aufsatz „Das Medusenhaupt“ argumentiert Freud mit sehr abstrusen Beispielen. Zum Beispiel weist der Akt der Enthauptung von Medusas Kopf viele Ähnlichkeiten mit der Kastration der Genitalien auf. So seien die Schlangen auf ihren Kopf Phallussymbole und ihre Macht, Männer in Stein durch ihren Blick zu verwandeln, vergleicht er mit einer Erektion der Männer, wenn diese sich durch den Anblick von weiblichen Genitalien stimuliert fühlen. Freud stellt also die männlichen Figuren in den Mittelpunkt des Medusa Mythos und weist ihr nur eine Nebenrolle, in ihrer eigenen Geschichte zu. Sie diente also nur dazu, den Männern ihre Männlichkeit zu bestätigen. In anderen Worten, sie wurde erneut vergewaltigt. Ebenfalls wurde Medusa, bzw. ihr abgeschlagener Kopf sogar objektifiziert. Ohne ihren Kopf, kann sie nicht zurückschauen und sich schützen. Somit begrüßt sie ihre Hingabe gegenüber den Männern. In anderen Worten, ihr verstümmelter Körper steht als Symbol dafür, wie Männer es schafften, mit Frauen umzugehen. Sie verwiesen Frauen als visuelle Objektivität. Nachdem sie ihrer Macht geraubt wurde, nutzt Perseus sie als Objekt um seine Feinde in Stein zu verwandeln. Medusas Geschichte ist nichts anderes als ein Protest gegen den objektivierenden „männlichen Blick“. Eine wütende und vernichtende Vergewaltigungsrache, welche aus einer feministischen Fantasie stammt. Jean-Paul Sartre, fühlte sich aber scheinbar vom weiblichen Blick herausgefordert und wollte die männliche Dominanz zum Ausdruck bringen in dem er wieder Medusa als Monster in seiner Beschreibung widerspiegelt. „Wenn mich ein anderer Mensch anschaut, kann sein Blick mir das Gefühl geben, dass ich (als Mann) ein Objekt bin, ein Ding inmitten einer Welt von Dingen. Wenn ich das Gefühl habe, dass meine freie Subjektivität gelähmt ist, ist das, als ob ich zu Stein geworden wäre.“ Somit wurde der „männliche Blick“ so ikonisiert, dass jene Frau, die sich selbst ansieht, quasi männlich geworden ist und allein durch ihre Positionierung den männlichen Blick übernimmt. Medusas Geschichte dient also als Warnung für alle Frauen. Es ist ein Beispiel dafür, wie man nicht sein sollte.“ Ihr Name und ihr Bild werden negativ genutzt, um mächtige Frauen in die Schranken zu weisen. Sei als Frau nicht zu wütend. Sei als Frau nicht zu mächtig. Und sei als Frau niemals stärker als Männer.“ Medusa geistert also durch die westliche Vorstellungswelt und taucht immer dann auf, wenn sich die männliche Autorität durch die weibliche Macht bedroht fühlt.

Doch zum Glück erweckte der Medusa-Mythos dann doch ein Mittel gegen den perversen männlichen Blick. Kommen wir nun zum „weiblichen“ Blick. Die Geschichte ermöglichte es den Frauen, dass Recht zugesprochen zu bekommen zu „schauen“ und nicht nur als Objekt angeschaut zu werden. Der weibliche Blick ist die Waffe, welche die über Jahrhundert andauernden männlichen Übergriffe bekämpft. Diese Macht wird nicht nur in Medusas Fähigkeit widergespiegelt in dem sie Männer sehen kann, sondern auch in ihrer Fähigkeit diese in Stein zu verwandeln. Eine der schrecklichsten und schmerzhaftesten Erfahrungen für eine Frau ist von Männern zum Vergnügen ausgenutzt (ein Image, was Rockstars noch immer pflegen) und sexuell missbraucht zu werden. Der daraus resultierende Schmerz und die Demütigung können sich leicht in eine Form der zornigen Rache verwandeln. Wenn der Täter nach dem Übergriff ebenso eine quälende und gewalttätige Erfahrung macht, kann dies Befriedigend sein. Somit ist die einzige Strafe, die als messbar gilt, wenn das Herz und der Verstand des Angreifers in Stein verwandelt wird. Das Gesicht einer wütenden Frau muss das furchterregendste Gesicht von allen sein.

Hélène Cixous wies zurecht Freuds Interpretation in „Das Lachen der Medusa“ zurück. Sie sagt, dass Medusas Enthauptung durch Perseus als Sinnbild dafür dient, dass Männer versuchen, Frauen zum Schweigen zu bringen und somit ihre wahre Fähigkeit, die der Sprache, zerstören. „Eine Frau ohne Körper, stumm und blind, kann unmöglich eine gute Kämpferin sein. Sie wird darauf reduziert, die Dienerin des kämpferischen Mannes zu sein, sein Schatten“ (1976, S.88). Dieses Sinnbild zeigt vor nicht allzu langer Zeit, sein wahres Gesicht. Berühmte Frauen in hohen Positionen fielen der Medusa-Analogie zum Opfer. Theresa May bekam den Titel „Medusa von Maidenhead“ oder „Maydusa“. Das Gesicht von Hilary Clinton wurde auf Medusas Kopf der Bronzestatue von Cellini gephotoshopped und Perseus bekam dies von Donald Trump. Es sollte Trumps Kontrolle und Autorität repräsentieren, als der „Held“, der die „Bestie“ zähmt. Und auch Margaret Thatcher und Angela Merkel wurden mit dem „Ungeheuer“ der Medusa verglichen. Medusa ist für die toxische Männerwelt die bevorzugte Figur, um die weibliche Autorität zu dämonisieren. Starke Frauen werden als Bedrohung wahrgenommen und sprechen gegen das berühmte Bild, dass die Welt eine männliche Eroberung und Kontrolle erfordert.

Interessant ist auch, dass die Medusa Geschichte einige Parallelen zur Me Too-Bewegung aufweist. Beide zeigen, dass die Wahrheit manchmal nicht zur Veränderung führt. Die Geschichte zeigt, dass der Widerstand gegen sexuelle Gewalt wenig dazu beiträgt, „eingebettet Machtstrukturen“ zu durchbrechen. Indem wir zulassen, dass die Angreifer ohne Strafen davonkommen, vermitteln wir als Gesellschaft, dass wir weitgehend unerschrocken weitermachen, Strafen nur mit äußerster Ungleichheit verteilen und mit demjenigen Zusammenarbeiten, die MeToo recht zynisch als „Illusion einer Bewegung“ bezeichnen.  Wie oft wird den Opfern nicht geglaubt oder die Opfer von sexueller Gewalt im Vorfeld mundtot gemacht? Diese Ohnmacht, welche bei MeToo zum Vorschein kam, erinnert nur allzu doll an die fehlende Gerechtigkeit bei Medusa. Ja, Medusa ist die Einzige, die für Poseidons taten, bezahlt. Das Opfer, nicht der Täter. Ihre Geschichte zeigt zudem auch die problematische Kultur des „Vicitim Blaming“ auf. Sie ist eine Frau, die durch ihren eigenen Übergriff beschämt, bestraft und schließlich getötet wird. Ein Bild, welches in der modernen Gesellschaft für viele Frauen grausame Realität ist. Auf der ganzen Welt erleiden Frauen genau das gleiche Schicksal. Sie bekommen die Schuld, werden zum Schweigen gebracht und innerlich getötet. In manchen Fällen sogar tatsächlich getötet. Wie oft hören wir bei Prozessen von Vergewaltigungen und sexueller Belästigung die abgedroschenen Phrasen von „Sie hat es doch gewollt“, oder „Sie ist selbst schuld, schaut doch wie sie rumlief.“

In Anbetracht dieser Tatsachen, drückt die Medusa Geschichte also den emotionalen Bogen eines Opfers sexueller Übergriffe aus. Medusa repräsentiert nicht nur die Stimme der zum Schweigen gebrachten, sondern auch die die geballte Wut aller Opfer sexueller Gewalt. Die personifizierte weibliche Wut. Zurecht wird ihr Bild von vielen Feministinnen übernommen, welche in Medusa ein Gesicht unserer eigenen Wut erkenne.

Solltet ihr also eine Dame treffen, die sich das Gesicht oder das Symbol von Medusa auf ihrer Haut verewigt hat, dürftet ihr spätestens jetzt wissen, wofür es steht und was die Person vielleicht durchleben musste.

THE VEGAN SATANIST