Willkommen bei der neuen Rubrik: It’s only a movie. Heute möchte ich mit euch einen Film besprechen, der mich sofort in den Bann gezogen hat. Ein Film, der nicht nur mit den klassischen Motiven des Gothic Horror spielt, sondern auch eine politische Aussage trifft. Ein Film, der sich sowohl an urbanen Legenden klammert als auch an realen Fällen. Heute geht es um den Klassiker von 1992 – CANDYMAN.
Der Ursprung der Horrorgeschichte: 1985 veröffentlichte der britische Horrorautor und Regisseur Clive Barker seine sechsteilige Anthologie-Reihe BOOKS OF BLOOD. Einer der Kurzgeschichten trug den Titel „The Forbidden“. In der Geschichte möchte die angehende Doktorandin Helen Buchnam eine Dissertation über Graffitis schreiben. Bei ihrer Recherche erfährt sie, dass angeblich ein Mörder mit einer Hakenhand in Liverpool, genauer gesagt im verwahrlosten Wohnkomplex Spector Street Estate sein Unwesen treibt. Sie findet schnell ein überdimensionales Graffiti, welches diesen Mörder darstellen soll und bei ihrer Recherche fällt sie in ein immer tieferes Loch. Sie befragt Menschen in der Gegend, ob diese an die Existenz des Hakenmörders glauben und vielleicht Beweise haben. Natürlich hat sie als Akademikerin Zweifel, doch als Leute auf grausame Art sterben, die sie zum Hakenmörder befragte, weiß sie selber nicht, ob an der Legende nicht doch etwas dran ist. Und dann geschieht das, wovor sie sich am meisten fürchtete. Sie trifft den Hakenmörder selbst.
Clive Barker wurde durch seine Großmutter für diese Geschichte inspiriert, denn als er 6 Jahre alt war, erzählte sie ihm eine Geschichte über einen Mann mit einer Hakenhand, der einem Jungen die Genitalien abgeschnitten hat. Diese Geschichte diente nur dazu, dass der kleine Clive sich vor Fremden Menschen in Acht nimmt.
„The Forbidden“ ist eine von vielen Geschichten aus der Buchreihe „Books of Blood“, von denen sich Hollywood die Rechte sicherte und einen Film machen wollte. Dies taten sie auch und 1992 kam CANDYMAN in Kino. Doch der Film ist ganz anders als die Kurzgeschichte. Während in der Kurzgeschichte ein mysteriöser kaukasischer Mann ist, erzählt der Film von einem rachsüchtigen Geist eines schwarzen Künstlers, der wegen einer unerlaubten Affäre mit einer weißen Frau gelyncht wurde. Man fesselte ihn an einem Baumstumpf, schnitt ihm die Hand ab und schmierten ihn mit Honig ein, wodurch er von Bienen zu Tode gestochen wurde. Laut der Legende kann man den Candyman beschwören, wenn man sich traut, seinen Namen 5-mal hintereinander in den Spiegel zu sagen. Man gab der mysteriösen Figur eine Hintergrundgeschichte, welche sich auf die dunkle Geschichte Amerikas bezieht. Natürlich fanden die urbanen Legenden wie Bloody Mary, deren Namen man ebenfalls in den Spiegel sagen musste, oder der Hookman, der mit seiner Hakenhand die frisch liebenden Paare im Lovers Lane umbringt auch ihren Platz in der Verfilmung. Aber die größte Änderung bekam das Setting. Dies ist ein anderes. Statt in Liverpool spielt es nun in einem verwahrlosten Wohnkomplex in Chicago. Dies hat einen besonderen Grund. Würdet ihr mir glauben, dass im Jahr 1987 die Geschichte von CANDYMAN dort wirklich geschehen ist?
Ruthie Mae McCoy war eine 52-jährige Dame, welche den Großteil ihres Lebens in Angst lebte. Sie war von Paranoia geplagt, litt unter Schizophrenie und war bei ihren Nachbarn bekannt. Diese sahen sie nicht nur einige Male wie sie mit sich selbst sprach, sondern hatten sie auch ab und an in ihrer eigenen Wohnung, wenn Ruthie den Nachbarn zeigen wollte, wie wichtig es ist, die Tür abzuschließen. Denn das Hochhaus, in dem sie lebte, welches ein Projekt der Chicagoer Wohnungsbaubehörde war und den Namen ABLA trug, war gerade für seine Drogen- und Kriminalitätsprobleme bekannt. Ruthie hatte das Pech in einem der sieben 15-stöckigen, braunen, Y-Förmigen Türmen namens Grace Abbot Homes zu leben, welches zu den gefährlichsten Gebäuden in ABLA zählte. Die Aufzüge funktionierten meistens nicht, die Gänge waren dunkel und die Drogenabhängigen machten sich im Treppenhaus breit. Wenn Ruthie sauer war, weil die Nachbarn sie als nervig betitelten oder ihr die Drogensüchtigen auf die Nerven gingen, verfluchte sie ab und an die Menschen, aber an sich war sie immer eine nette Seele. Doch auch Ruthies ständige Angst sollte Realität werden. In der Nacht des 22. April 1987 um 08:45 pm ging bei der Polizei ein Notruf rein. Am Telefon war die verängstigte Ruthie. Sie erzählte dem Disponenten, dass Leute nebenan das Hausabreißen. Als der Disponent sie fragt, ob die Leute einbrechen wollen, bestätigt Ruthie seine Frage und sagt, dass die Leute auch den Schrank umgeworfen haben. Der Disponent ist leicht irritiert und fragt Ruthie, von wo aus dem Schrank umgeworfen wurde, denn sie sagte ja am Anfang, dass dies Leute von nebenan sind. Ruthie erklärt dem Disponenten, dass sie auf der anderen Seite des Y-Turmes sich befindet und die Leute das Badezimmer erreichen können und diese auch durch das Badezimmer kommen wollen. Der Dispatcher fragt Ruthie nach ihrer Adresse und als sie antwortet, dass sie im 11. Stock wohnt, in der Wohnung 1109 und der Aufzug aber funktioniert, reichte ihm das schon aus, um die Polizei zu schicken. Ihre Angaben ergaben wenig Sinn, aber dies könnte auch mit ihrer Krankheit zusammenhängen.
Da der Disponent den Anruf als „Ruhestörung“ meldete, war die Polizei nicht sofort vor Ort. Dann kam ein weiterer Anruf um 21:02 Uhr rein. Eine Frau war am Telefon die sagte, dass sie Schüsse aus der Wohnung 1109 gehört habe. 2 Minuten später kam ein weiterer Anruf. Ebenfalls meldete ein Nachbar, dass er Schüsse aus der Wohnung gehört hatte. Die Polizei fuhr sofort zum Ort und klopfte an der Tür. Sie war von innen verschlossen und ließ sich nicht öffnen. Man versuchte einen Ersatzschlüssel zu organisieren und fand jedoch keinen. Aus Angst, dass die Polizisten eine Klage von Mietern wegen Hausfriedensbruch bekommen könnten und die Tür nach dem Aufbrechen zusätzlich gesichert werden müsste (schließlich ist der Ort ein Brennpunkt), entschieden sie sich dafür die Tür von Ruthie nicht einzutreten. Debra Lasley eine gute Freundin von Ruthie machte sich Sorgen, denn Ruthie kam jeden Tag bei ihr vorbei. Als diese nicht auftauchte und sie am Abend zuvor die Polizei sah, rief sie bei dem Projektbüro an und meldete dort ihre Bedenken. Diese reagierten sofort und schickten einen Mitarbeiter, welcher die Tür aufbohrte. Ruthie McCoy lag Tod mit dem Gesicht auf den Boden in ihrem Schlafzimmer in einer Blutlache. Sie wurde 4-mal angeschossen. Was genau ist passiert? Nun, Ruthie hat nicht gelogen und war auch gewiss nicht verwirrt, als sie dem Disponenten sagte, dass die Einbrecher durchs Badezimmer kommen wollen. Zwischen den Wohnungen befanden sich Enge Durchgänge in den Wänden. Diese dienten dazu den Arbeitern bei Wartungsarbeiten einen einfachen Zugang zu gewähren. Jedoch waren diese Durchgänge ein beliebter Weg für Einbrecher, um einzubrechen und sie gelangen in die Wohnungen, in dem sie Badezimmerschränke aus der Wand schoben. Genau das, was Ruthie in ihrem Notruf gemeldet hatte.
Im Spielfilm wird die wahre Geschichte von Ruthie erwähnt, wobei ihr Name verändert wurde. Die Protagonisten Helen bekommt zu hören, dass eine Frau namens Ruthie Jean vom Candyman getötet wurde. Ruthie Jean hörte angeblich ein Klopfen und Schlagen, als würde jemand versuchen ein Loch in die Wand zu hauen. Sie rief daraufhin die Polizei an, doch diese glaubten ihr nicht und hielten sie für verrückt. Die Parallelen zwischen der fiktiven Ruthie Jean und der wahren Ruthie McCoy sind eindeutig.
Für die Dreharbeiten musste das Filmteam kein fiktives Hochhaus nachbauen. Der Film wurde teilweise im Cabrini-Green-Wohnprojekt in Chicagos Near North Side gedreht. Ähnlich wie die ABLA-Häuser dienten diese Wohnprojekte dazu, tausende schwarze Amerikaner zu beherbergen, welche durch die Great Migration nach Chicago kamen. Die modernen Wohnungen sollten den Bewohnern ein angenehmes Leben ermöglichen, wenn die Winter am Michigansee wieder brutal kalt werden sollten. Was am Anfang wie ein Traum wirkte und sogar im TV bei Sendungen wie GOOD TIMES als Vorbild für ein angemessenes Leben beworben wurde, wurde zum Albtraum. Der Rassismus sorgte für die Vernachlässigung durch die Chicagoer Wohnungsbehörde und in den 1990er Jahren lebten fast 15.000 Menschen von den fast alle Afroamerikanerin waren in baufälligen Gebäuden, welche von Armut, Drogen und Kriminalität geprägt waren. Nur 9 % der dort lebenden Menschen hatte einen Job. Somit wird im Film kein fiktives Chicago gezeigt, sondern das reale zu jener Zeit.
Das letzte Thema, welches wir noch behandeln müssen, ist die Vorgeschichte zur mythologischen Figur des Candymans. Wurde gemischte Paare damals wirklich bestraft? Die Antwort ist ja und die Gefahr getötet zu werden, war gerade für schwarze Männer in den USA Realität. Im späten 19. Jahrhundert kam es vermehrt zu Lynchmorden an schwarze Bewohner. Im Jahr 1880 allein wurden 40 Afroamerikaner durch Lynchmobs ermordet. 1890 war die Zahl auf 85 gestiegen, mehr als doppelt so viele. Von der Brutalität des Mobs blieb niemand verschont. 1911 wurde der weltberühmte Boxer Jack Johnson von einem weißen Mob in Chicago gejagt, weil er eine weiße Frau geheiratet hatte. 13 Jahre später im Jahr 1924 wurde der 33-jährige William Bell zu Tode geprügelt, weil man ihn verdächtigte, dass er versucht hätte zwei weiße Mädchen zu belästigen. Allerdings konnte keines der Mädchen das Opfer William Bell als Täter identifizieren. Erst im Jahr 1967, mit dem Urteil des Obersten Gerichtshofs in der Rechtssache Loving gegen Virginia, wurden die Hochzeit und Partnerschaft von gemischtrassigen Paaren rechtlich anerkannt. Zu diesem Zeitpunkt gab es allerdings bereits Tausende von Übergriffen und Morden an Afroamerikanern im ganzen Land. Schlimmer ist die Tatsache. Dass erst im Februar 2020 das Repräsentantenhaus ein Gesetz verabschiedete, welches die Lynchjustiz endlich zu einem Verbrechen macht. Sprich, all die Jahre wurden Lynchmorde nicht bestraft.
Wie ihr seht, greift der Film CANDYMAN auf echte historische Gewalt, Mythen und Geschichten, welche den Schmerz von Millionen von Menschen und ihre Ängste widerspiegelt. Ein mutiger Schritt der Macher, sich von der Kurgeschichte zu lösen und die wahre Horrorgeschichte auf Film zu bannen. Vielleicht und ich hoffe es ganz doll, dass dieser Beitrag hier auch einen Teil dazu beiträgt, das sich die Menschen durch CANDYMAN ein wenig mehr mit dem realen Grauen auseinandersetzen, dem schwarz Amerikaner im Laufer der Geschichte ausgesetzt waren.
THE VEGAN SATANIST